Fotografieren im Untergrund

Fotografen mögen die eigentümliche Welt des Untergrunds. Loredana Nemes aber hat dem Genre der U-Bahn-Fotografie ein vollkommen neues Gesicht gegeben. Ohne mit versteckter Kamera zu arbeiten, vollzieht sich der Akt des Fotografierens in voller Diskretion: Mit einer Kamera auf dem Schoß porträtiert sie die Stadtnomaden ohne deren Wissen. Mehr als zwei Jahre lang reiste sie durch den Untergrund der Metropolen Berlin, Bukarest, London, Moskau, New York und Paris. Endlich ist zu der einmaligen Fotoserie auch der längst fällige Bildband erschienen. Wir sind begeistert! In schwarzes Leinen gebunden und mit viel Liebe zum Detail gedruckt, verliert man sich im Ausdruck der modernen Großstadtmenschen. Manchmal komisch, oft absurd oder sehr ernsthaft ziehen diese Reisenden in ihrer eigenen Stadt auf den Schwarzweißfotografien den Betrachter sofort in den Bann. Man möchte mehr und mehr sehen von diesen Gesichtern, denen man bei der eigenen Reise durch die Städte doch allzuwenig Beachtung schenkt. ++Bildschöne Bücher



Pressestimmen

Lauter Zwischenstationen des Lebens

Wenn man die Zeit zusammenzählte, die wir während unseres Lebens in U-Bahnen, S-Bahnen und Pendlerzügen verbringen, käme man auf Wochen, Monate, bei manchen vielleicht auf Jahre. Und doch bleibt uns wenig von diesen rollenden Räumen, die wir benutzen, um vom Büro nach Hause, vom Stadtrand ins Zentrum, vom Flughafen zum Hotel oder von der Party ins Bett zu kommen, im Gedächtnis haften. Erst wenn wir längst anderswo sind, wenn uns eben nicht die Métro oder Subway oder Underground mehr zu unserem Ziel bringt, steigen ihre Spuren aus der Erinnerung auf: die Farbe der Wagen, der Geruch der Kunstledersitze, die Form und Größe der Fenster; der besondere Tonfall, in dem die Ansagerin "Causeway Bay" oder "Rothenbaumchaussee", "Tottenham Court Road" oder "Barbès-Rochechouart" ankündigt; die Zugluft in den Stationen, kühl in Moskau, stickig in Berlin, heiß in Madrid; und darüber der vielsprachige Chor der Passagiere, die Sinfonie der Fahrgeräusche, die in jeder Stadt anders, manchmal sogar je nach Jahreszeit verschieden klingt. Die Fotografin Loredana Nemes, in Rumänien geboren und in Berlin lebend, hat Menschen in der Untergrundbahn fotografiert - in London, Paris, New York, Berlin, Moskau und in Bukarest. Dabei hat sie ihre Kamera nicht, wie vor sechzig Jahren Walker Evans in seinen New Yorker Subway-Porträts, vor ihren Mitreisenden versteckt, im Gegenteil: Sie hielt sie ganz offen im Schoß. Aber ihr Fotoapparat war eine zweiäugige Rolleiflex, ein wunderbares Ungetüm, wie man es fast nur noch in Kostümfilmen sieht. Und so mochte sich mancher Fahrgast fragen, ob das Ding überhaupt noch funktionierte, während andere sich auf das Spiel mit der Kamera einließen - aus Müdigkeit, mag sein, aus Neugier, aus Eitelkeit oder Apathie. Jedenfalls hat der Trick sich bewährt. Denn auf Nemes' Fotos sieht man keine Selbstdarsteller, keine Poseure der Metropolen. Man sieht Menschen, die wie wir alle aussehen, wenn wir U-Bahn fahren, in diesen Transit-Minuten, diesen Viertelstunden des Übergangs, wenn wir nicht mehr dort und noch nicht da sind: Wartende, Schlafende, Lesende, sich Streitende, Pärchen und Einzelne, Eltern und Kinder, reiche Damen mit Hut und arme Schlucker mit Kappe. Und manchmal sehen wir zwei nebeneinander, eine blonde Frau, einen jungen Mann, die sich scheinbar nichts mehr zu sagen haben; aber auf dem nächsten oder übernächsten Bild beugen sie sich zueinander, lachen sich an, küssen sich, dann auf einmal ist der Mann allein, schlägt die Zeitung auf, blickt wie abwesend hinein. Oder die beiden in der Moskauer Metro: Er guckt zu ihr hin, sie schaut weg; er guckt noch tiefer, sie schaut noch höher; er dreht den Kopf in die andere Richtung, sie klammert sich an ihrer Tasche fest. Der Polizist in Bukarest hat einen langen Arbeitstag hinter sich. Der Londoner Tourist freut sich auf National Gallery und Big Ben. Die beiden Frauen in Paris scheinen, jede für sich, von ihrem Leben zu träumen, ihren Liebhabern, ihren Kindern, ihrem Chef, wer weiß. Sie alle nehmen ihre Geschichten beim Aussteigen wieder mit, nur die Kamera hält ihren flüchtigen Abdruck fest. Und fast jedes Bild, das wir sehen, löst ein Wiedererkennen aus: Wie oft haben wir selbst schon so dagesessen, zornig, müde oder gleichgültig, mit Freunden oder Fremden! Sind wir nicht auch schon in der U-Bahn eingenickt wie die beiden Japaner in London, das junge Paar in New York? Doch dann kommt unsere Station, und wieder heißt es: "Zurückbleiben!" - "Mind the gap!" Der Zug rollt an, wir sind am Ziel. Nur die Frau mit der Rolleiflex ist sitzengeblieben. In ihren Bildern sehen wir, was wir unterwegs verpasst haben: die Wahrheit eines selbstvergessenen Augenblicks. ++(Andreas Kilb) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.07.2007, Nr. 171

 

"Bitte zurückbleiben!": Eine Vorschule unsentimentaler Menschlichkeit

Fahr mal wieder U-Bahn! Knie stößt sich an Knie, es drängelt, die Luft steht, jeder ringt um seinen Platz, man riecht Essen, Kaffee, Parfum. Und dann ist da noch das Erscheinen der Gesichter in der Menge. In den Untergrundbahnen der großen Städte kann man das heutige Welttheater kennenlernen - immer gleiche Szenen, immer andere Geschichten. Mit nichts als Geduld und einer zweiäugigen Rolleiflex-Mittelformatkamera bewaffnet, hat die junge Fotografin Loredana Nemes Menschen in der Subway, der Métro, im Unterground und der U-Bahn fotografiert. Sie wurde in Rumänien geboren, floh 1986 nach Deutschland, heute lebt sie in Berlin. Ihre Aufnahmen aus Berlin, Paris, new York, London, Moskau und Bukarest sind in einem Buch erschienen. Man blättert in der bestechend schönen Auswahl wie in einer Vorschule unsentimentaler Menschenliebe. Nemes bietet den porträtierten Fahrgästen Raum, sich zu inszenieren, fordert sie aber nicht dazu auf. So zeigen sich die Großstadthelden, wie sie sind: zwei überaus hübsche Pariserinnen, die noch einmal die Koketten geben; die Damen, die Haltung bewahren, Jungs, die cool sein müssen; Liebespaare; Kinder und immer wieder Müde, Schlafende, Erschöpfte - in sich versunken. Jedes der Bilder scheint ein Schicksal zu erzählen. Aber die Fotografin bleibt auf Distanz, rückt den Personen nicht zu dicht auf die Pelle. Sie fängt das eigene Reich ein, das noch im größten Gedränge um jeden ist, die persönliche Atmosphäre. Obwohl kein ausgefallenes Gesicht, keine unerwartete Geste zu sehen ist, wirkt jede Figur einmalig ausdrucksstark. Man erblickt die U-Bahn-Fahrer, glaubt, sie kennenzulernen, um sich dann auf Nimmerwiedersehen zu trennen. ++(jby) Süddeutsche Zeitung vom 9. Juli 2007

 

Interview mit der Zeitschrift art

 

Interview auf You Tube

 

underground

underground

Loredana Nemes
UNDER GROUND
112 Seiten
230 x 230 mm
100 s/w Fotografien von im Novatone-Druck
Hardcover in Vollleinen mit Prägedruck
Euro 35.00
ISBN 978-3-936406-17-7

 

+++ Auswahltitel des Deutschen Fotobuchpreises 2008 +++

 

Bestellen